URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
11. Juni 1998 (1)
„Steuerrecht Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie Anwendung auf die
Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele Ermittlung der
Besteuerungsgrundlage“
In der Rechtssache C-283/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Finanzgericht
Baden-Württemberg in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Karlheinz Fischer
gegen
Finanzamt Donaueschingen
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl.
L 145, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten H. Ragnemalm sowie der Richter
G. F. Mancini (Berichterstatter), P. J. G. Kapteyn, J. L. Murray und G. Hirsch,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und
Oberregierungsrat Bernd Kloke, Bundesministerium für Wirtschaft, als
Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch
Stephen Braviner, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigten,
Beistand: Barrister Peter Mantle,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater Jürgen Grunwald als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der deutschen Regierung, vertreten
durch Ernst Röder, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch
John E. Collins, Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten, im Beistand von
Kenneth Parker, QC, und der Kommission, vertreten durch Jürgen Grunwald, in
der Sitzung vom 30. Januar 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. März
1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat mit Beschluß vom 21. August 1995,
beim Gerichtshof eingegangen am 25. August 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
drei Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates
vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste
Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Karlheinz Fischer (im
folgenden: Kläger) und dem Finanzamt Donaueschingen (im folgenden: Finanzamt)
über die Zahlung der Umsatzsteuer bei unerlaubten und strafbaren Glücksspielen.
Rechtlicher Rahmen
- 3.
- Artikel 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein
Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
...“
- 4.
- Nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a ist die Besteuerungsgrundlage bei
Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen grundsätzlich alles, was den
Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese
Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten
erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser
Umsätze zusammenhängenden Subventionen.
- 5.
- Artikel 13 Teil B bestimmt:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten
unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen
Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen,
von der Steuer:
...
f) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den
Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt
werden;
...“
- 6.
- Artikel 33 in der zur Zeit der Vorgänge des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung
bestimmte, daß unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen die
Bestimmungen der Sechsten Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran hindern,
Abgaben auf Versicherungsverträge, auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern,
Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren,
die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen.
- 7.
- Nach deutschem Recht unterliegen gemäß § 1 Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes
(BGBl. I 1979, S. 1953; im folgenden: UStG) der Umsatzsteuer die Lieferungen
und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Erhebungsgebiet gegen Entgelt
im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
- 8.
- Nach § 4 Nummer 9 Buchstabe b UStG sind die Umsätze steuerfrei, die unter das
Rennwett- und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen
öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind.
- 9.
- Nach § 284 des deutschen Strafgesetzbuchs wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein
Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt. Als
öffentlich veranstaltet gelten auch Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen
Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden.
- 10.
- Für die Besteuerung ist es gemäß § 40 der Abgabenordnung von 1977 (BGBl. I
S. 613) unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes
ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen
die guten Sitten verstößt.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
- 11.
- Der Kläger veranstaltete in den Jahren 1987 bis 1989 an mehreren Orten in
Deutschland Glücksspiele. Er hatte die behördliche Genehmigung für das Betreiben
eines Geschicklichkeitsspiels mit einer Spielvorrichtung namens „Roulette Opta II“.
Von dieser Erlaubnis wich er jedoch derart ab, daß das Spielen dem Roulettespiel
gleichkam, wie es in ordnungsgemäß zugelassenen öffentlichen Spielbanken
betrieben wird.
- 12.
- Die vom Kläger unterhaltenen Spielgeräte hatten einen Zahlenkranz mit den
Zahlen von 1 bis 24 in den Farben rot oder schwarz, dazu noch den Zeichen 0
und X. Ziel der Spieler war es, durch Setzen von Spielmarken auf die
entsprechenden Felder vorauszusagen, wo die vom Spielleiter eingeworfene Kugel
liegenbleiben werde. Die Spieler erwarben Spielmarken (Jetons) zu 5 DM je Stück;
bei jedem Spiel konnten sie eine oder mehrere Spielmarken setzen. Blieb die Kugel
auf der Zahl, der Linie oder der Farbe, auf die gesetzt worden war, liegen, zahlte
der Spielleiter das 24fache, 12fache oder 2fache des Einsatzes aus.
- 13.
- Die Gewinne wurden sofort nach dem Gewinnspiel in Spielmarken ausbezahlt; die
übrigen Einsätze wurden vom Spielleiter eingesammelt. Spieler, die nicht
weiterspielen wollten, konnten ihre Spielmarken, die sie nicht verspielt hatten, in
Geld umtauschen.
- 14.
- Nach Durchführung einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, der
Kläger führe im Rahmen der Umsatzsteuer steuerbare und steuerpflichtige
Leistungen aus, die in der Gewährung von Gewinnchancen an die Spieler
bestünden. Die Bemessungsgrundlage hierfür seien die von den Spielern
eingesetzten Geldbeträge abzüglich der erzielten Spielgewinne. Da diese Umsätze
vom Kläger jedoch nicht aufgezeichnet waren, wurde das steuerliche Entgelt
aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Weise ermittelt, daß die
Spieleinnahmen mit dem Faktor 6 multipliziert wurden.
Die Vorabentscheidungsfragen
- 15.
- Das vom Kläger angerufene Finanzgericht Baden-Württemberg wirft unter
Berücksichtigung der Urteile vom 5. Juli 1988 in den Rechtssachen 269/86 (Mol,
Slg. 1988, 3627) und 289/86 (Happy Family, Slg. 1988, 3655) erstens die Frage auf,
ob die Leistungen, um die es im Ausgangsverfahren geht, tatsächlich
Dienstleistungen im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie
darstellten oder ob sie als unerlaubte Handlungen dem Anwendungsbereich der
Sechsten Richtlinie entzogen seien. Zweitens sei für den Fall, daß die fraglichen
Leistungen nach der Sechsten Richtlinie steuerbar seien, fraglich, ob die vom
Gerichtshof im Urteil vom 5. Mai 1994 in der Rechtssache C-38/93 (Glawe, Slg.
1994, I-1679) herangezogene Methode zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage,
nach der nur auf die Nettoerlöse nach Auszahlung der Gewinne an die Spieler
abzustellen sei, auf die bei ihm anhängige Rechtssache anwendbar sei. Für den Fall,
daß dies zu verneinen sei, müsse drittens eine andere Methode zur Ermittlung der
Bemessungsgrundlage bestimmt werden.
- 16.
- Das nationale Gericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten EG-Richtlinie dahin auszulegen, daß
sonstige Leistungen, die der Veranstalter unerlaubter und strafbarer
Glückspiele an die Spieler erbringt, nicht steuerbar sind?
2. Für den Fall, daß die Frage zu 1 zu verneinen ist:
Ist Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten EG-Richtlinie
dahin auszulegen, daß bei unerlaubten Glücksspielen in Form des Roulettes
Bemessungsgrundlage für die sonstigen Leistungen des Veranstalters an die
Spieler der Betrag ist, der dem Veranstalter innerhalb eines
Besteuerungszeitraums verbleibt?
3. Für den Fall, daß die Frage zu 2 zu verneinen ist:
Wie ist die Bemessungsgrundlage in den Fällen der Fragen zu 1 und 2 zu
ermitteln?
Zur ersten Frage
- 17.
- In Hinblick auf die Erteilung einer zweckdienlichen Antwort an das nationale
Gericht ist die erste Frage dahin zu verstehen, ob die unerlaubte Veranstaltung
eines Glücksspiels hier des Roulettespiels in den Anwendungsbereich der
Sechsten Richtlinie fällt und ob ein Mitgliedstaat diese Tätigkeit der
Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen
Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank mehrwertsteuerfrei ist.
- 18.
- Zunächst ist festzustellen, daß die Sechste Richtlinie Glücksspiele mit Geldeinsatz
ausdrücklich erwähnt, indem sie in Artikel 13 Teil B Buchstabe f deren
Steuerbefreiung vorsieht und in Artikel 33 bestimmt, daß ihre Bestimmungen einen
Mitgliedstaat nicht daran hindern, Abgaben auf Spiele und Wetten beizubehalten
oder einzuführen. Diese Umsätze sind daher nicht als solche der Anwendung der
Sechsten Richtlinie entzogen.
- 19.
- Sodann sind die Bedenken des nationalen Gerichts hinsichtlich der Möglichkeit zu
prüfen, unerlaubte Tätigkeiten der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Der
Gerichtshof hat im Urteil vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 294/82
(Einberger II, Slg. 1984, 1177, Randnrn. 19 und 20), in den Urteilen Mol und
Happy Family (Randnrn. 15 bzw. 17) und im Urteil vom 6. Dezember 1990 in der
Rechtssache C-343/89 (Witzemann, Slg. 1990, I-4477, Randnr. 19) ausgeführt, daß
unerlaubte Einfuhren oder Lieferungen von Betäubungsmitteln oder Falschgeld, die
als solche von der Einführung in den Wirtschafts- und Handelskreislauf der
Gemeinschaft ausgeschlossen sind und nur Anlaß zu Strafverfolgungsmaßnahmen
geben können, völlig außerhalb des Regelungsbereichs der Sechsten Richtlinie
liegen und somit nicht zum Entstehen einer Mehrwertsteuerschuld führen.
- 20.
- Wie der Gerichtshof im Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-111/92
(Lange, Slg. 1993, I-4677, Randnr. 12) festgestellt hat, betrifft dieser Grundsatz nur
Waren, die aufgrund ihrer besonderen Merkmale weder in den Verkehr gebracht
noch in den Wirtschaftskreislauf einbezogen werden können.
- 21.
- Abgesehen von diesen Fällen, in denen jeder Wettbewerb zwischen einem legalen
Wirtschaftssektor und einem illegalen Sektor ausgeschlossen ist, verbietet jedoch
der Grundsatz der steuerlichen Neutralität bei der Erhebung der Mehrwertsteuer
eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten Umsätzen und unerlaubten
Geschäften. Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, genügt der Umstand, daß
bestimmte Waren wegen ihrer möglichen Verwendung zu strategischen Zwecken
nicht in bestimmte Gebiete ausgeführt werden dürfen, für sich genommen nicht, um
diese Ausfuhren aus dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie herausfallen
zu lassen (Urteil Lange, a. a. O., Randnrn. 16 und 17).
- 22.
- Diese Erwägungen zur Einfuhr oder zur Veräußerung von Waren gelten auch für
Dienstleistungen wie die Veranstaltung von Glücksspielen. Glücksspiele, darunter
das Roulettespiel, werden jedoch in mehreren Mitgliedstaaten rechtmäßigveranstaltet. Da die im Ausgangsverfahren fraglichen unerlaubten Geschäfte mit
erlaubten Tätigkeiten konkurrieren, verbietet es der Grundsatz der steuerlichen
Neutralität, sie unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer anders zu behandeln.
- 23.
- Infolgedessen fällt die unerlaubte Veranstaltung von Glücksspielen in den
Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie.
- 24.
- Schließlich ist zu prüfen, ob Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie,
wie die Regierung des Vereinigten Königreichs in ihren schriftlichen Erklärungen
meint, es den Mitgliedstaaten dann verbietet, unerlaubte Glücksspiele der
Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die entsprechende Tätigkeit, falls sie in
ordnungsgemäß zugelassenen öffentlichen Spielbanken rechtmäßig ausgeübt wird,
steuerfrei ist.
- 25.
- Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, daß Glücksspiele mit
Geldeinsatz grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien sind. Die
Mitgliedstaaten bleiben dafür zuständig, die Bedingungen und Grenzen dieser
Befreiung festzulegen.
- 26.
- Die Kommission hat jedoch geltend gemacht, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe f
kein absolutes Verbot der Besteuerung von Glücksspielen enthalte. Die Regierung
des Vereinigten Königreichs ist in der Sitzung von dem in ihren schriftlichen
Erklärungen vertretenen Standpunkt abgerückt und hat vorgetragen, die
Mitgliedstaaten könnten im Rahmen der Festlegung der Bedingungen und Grenzen
der Befreiung vorsehen, daß nur die Umsätze in ordnungsgemäß zugelassenen
öffentlichen Spielbanken befreit seien.
- 27.
- Hierzu ist festzustellen, daß die in Artikel 13 Teil B vorgesehenen
Befreiungstatbestände unter Beachtung des dem gemeinsamen
Mehrwertsteuersystem zugrunde liegenden Grundsatzes der steuerlichen Neutralität
anzuwenden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 1997 in der Rechtssache
C-45/95, Kommission/Italien, Slg. 1997, I-3605, Randnr. 15). Dieses Erfordernis gilt
auch für den Fall, daß die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe f von
ihrer Befugnis Gebrauch machen, die Bedingungen und Grenzen der Befreiung
festzulegen. Mit der Einräumung dieser Befugnis hat der Gemeinschaftsgesetzgeber
die Mitgliedstaaten nämlich nicht dazu ermächtigt, den der Sechsten Richtlinie
zugrunde liegenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu verletzen.
- 28.
- Wie aber in Randnummer 21 dieses Urteils ausgeführt worden ist, folgt aus dem
Urteil Lange, daß der Grundsatz der steuerlichen Neutralität bei der Erhebung der
Mehrwertsteuer eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und
unerlaubten Geschäften verbietet. Daraus ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten die
Steuerbefreiung nicht den erlaubten Glücksspielen vorbehalten dürfen.
- 29.
- Entgegen der Auffassung der deutschen Regierung läßt sich hiergegen nicht
einwenden, daß die Bedingungen, unter denen erlaubte Glücksspiele veranstaltet
werden, deshalb nicht mit den Bedingungen bei unerlaubten Glücksspielen
vergleichbar seien, weil die zugelassenen Spielbanken einer auf der Grundlage ihrer
Spielerträge berechneten Spielbankabgabe unterlägen.
- 30.
- Denn zum einen würde das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verfälscht, wenn
die Mitgliedstaaten bei seiner Anwendung danach unterscheiden könnten, ob
andere, nichtharmonisierte Abgaben bestehen. Zum anderen spricht, wie die
deutsche Regierung in der Sitzung selbst eingeräumt hat, nichts dagegen, daß auch
die Veranstalter von unerlaubten Glücksspielen zu Abgaben herangezogen werden,
die den von den zugelassenen Spielbanken zu zahlenden Abgaben entsprechen.
- 31.
- Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die unerlaubte Veranstaltung eines
Glücksspiels hier: des Roulettespiels in den Anwendungsbereich der Sechsten
Richtlinie fällt. Artikel 13 Teil B Buchstabe f dieser Richtlinie ist dahin auszulegen,
daß ein Mitgliedstaat diese Tätigkeit nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf,
wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene
öffentliche Spielbank steuerfrei ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
- 32.
- Angesichts der Antwort auf die erste Frage brauchen die zweite und die dritte
Frage des nationalen Gerichts nicht beantwortet zu werden.
Kosten
- 33.
- Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten
Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Finanzgericht Baden-Württemberg mit Beschluß vom 21. August
1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels hier: des Roulettespiels fällt
in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.
Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage. Artikel 13 Teil B Buchstabe f dieser Richtlinie ist dahin
auszulegen, daß ein Mitgliedstaat diese Tätigkeit nicht der Mehrwertsteuer
unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine
zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist.
RagnemalmMancini
Kapteyn
Murray Hirsch
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Juni 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
H. Ragnemalm